Dunkelkammer

“Die Bloßlegung der Regeln der Welt, in der ich zwölf Jahre alt war, bringt für kurze Zeit das Gefühl der Enge, das ich in meinen Träumen habe, zurück.” (Annie Ernaux)
Lukas Feichtner Gallery, 26/01/23 – 18/02/23
Fotografien, entstanden während den Vorstellungen von “Annie Ernaux – Die Scham” am Volkstheater Wien, 2022/2023
“Die Fotografin Franzi Kreis projiziert mit dem Vergrößerungsapparat Porträts eines Mädchens, entstand mit einer analogen Mittelformatkamera, auf großformatiges Fotopapier – und lässt vor den Augen aller nur jene Teile sichtbar werden, die sie mit Entwicklerflüssigkeit bepinselt. Man schaut ihr fasziniert zu.” Thomas Trenkler, Kurier
www.feichtnergallery.com www.volkstheater.at

Zum Glück hat bisher noch nie jemand während der Vorstellung ein Handyfoto mit Blitz gemacht.
Das Auseinandernehmen und neu Zusammensetzen von Erinnerung. Welche Momente kehren ein Leben lang wieder und viel größer die Frage: welche sind längst verpufft?
Alle Bilder der Ausstellung sind auf der Bühne in der Dunkelkammer des Wiener Volkstheaters entstanden. Anfang des vergangenen Jahres wurde ich eingeladen, ein analoges, fotografisches Experiment, ein lebendiges Bühnenbild für die Inszenierung von „Annie Ernaux – Die Scham“ zu entwickeln. Ergebnis ist eine Installation, die bei jeder Vorstellung live entsteht, nie wiederholbar ist und am Ende vor den Augen des Publikums verschwindet.


Die Arbeit mit Ernaux’ Text ist faszinierend. Seit Ende Oktober 2022 sind zehn Vorstellungen vergangen und ich entdecke jedesmal neue Lücken, Ecken, versteckte Zwischenräume. Nicht zuletzt entlädt sich das in Blicken, die Friederike Tiefenbacher und ich während den Vorstellungen austauschen. Während ich im roten Zwielicht durch Negative äuge und in der Chemie rühre, fühlt es sich an, als würden wir beide auf unseren ganz unterschiedlichen künstlerischen Wegen etwas freilegen. Der Text wählt ein traumatisches Ereignis als Ausgangspunkt: der Vater, der die Mutter vor den Augen der 12-jährigen Annie mit der Axt bedroht. Spannend daran ist, dass die Erzählerin nicht in der Rolle des Opfers verharrt. Vielmehr geht es für mich um die große Frage, wie wurde ich wer ich bin und wie kann ich Verantwortung für mein Leben und die Zukunft übernehmen?
Lampenfieber spielt in der Entstehung der Bilder eine ebenso große Rolle wie Dunkelheit.
Mit einem historischen Vergrößerungsgerät projiziere ich Mittelformat-Negative der 10-jährigen Alva Kerlin, die sich mit mir auf eine Reise ins Frankreich der 1950er Jahre begeben hat (Kostüm: Mona Ulrich). Ich erinnere mich gut an meinen ersten Spaziergang in Kaisermühlen, um Orte zu finden, die vergangen anmuten. In den Bildern suche ich gegenläufige Zeitkonzepte: den große Bogen in die ferne Vergangenheit und der Versuch, das klassische Schema von Bildern der 1950er Jahre aufzubrechen. Der Zeitabstand von 3 Monaten: ein Sommer liegt zwischen Alvas Portraits. Sommer bedeutet Freiheit. Und schließlich: die Herausforderung von 75 Minuten auf der Bühne, die jedesmal verfliegen.
Vorstellung für Vorstellung wandern diese Bilder in einem engen Korsett aus Blicken und Bewegungen auf großformatiges Fotopapier. Beim Negative einspannen ist links rechts und oben ist unten. Den Entwickler trage ich mit einem Pinsel auf. Die aus mehreren Teilen bestehenden Fotografien setze ich für die Ausstellung teilweise neu zusammen. Abdrücke der Magnete bleiben als Spuren und erinnern mich ans vergangene Bühnen-Adrenalin. Im Kern sind es nur 10 Negative, die sich als Erinnerungsspirale entfalten. Während ich würfle und verfremde, fällt es mir leicht, meinen persönlichen Magic Moment zu benennen. Am Ende jeder Vorstellung wird das Licht eingeschaltet und ein Großteil der entstandenen Bilder versinkt in Schwärze.
Diese Ausstellung sind die Geretteten.

Bildmaße: 50x60cm, 30x40cm, 30x50cm
Besetzung Die Scham
mit Friederike Tiefenbacher, Live Foto Installation, Fotografie, Fotolabor: Franzi Kreis, Mädchen: Alva Kerlin, Regie: Ed. Hauswirth, Kostüum: Mona Ulrich, Sounddesign: Florian Kmet, Dramaturgie: Matthias Seier
